Der Fußball knallt draußen auf dem Hof, man hört die jubelnden Kinder auch drinnen. Wir sitzen im Wohnzimmer. An den Wänden: ein paar Bücherregale, ein Schrank, alles dezent eingerichtet. Neben dem Esstisch eine geschlossene Truhe, deren Beschläge an eine Schatzkiste erinnern. Nichts drängt sich hier auf. Nicht mal die über 20 Bilder, die allein in diesem Raum hängen und stehen – eines verdeckt sogar den Fernseher. „Das hat sich mein ältester Sohn ausgesucht. Er wird es mitnehmen, wenn er eines Tages auszieht.“ Mine Gümüstekin-Jaballah ist die Malerin der Bilder. Sie sitzt auf dem Sofa, sie ruht in sich, und sie lächelt. Vielleicht ist es dieses Lächeln, das auch in ihren Bildern steckt, weshalb sie sich nicht aufdrängen. Die meisten zeigen fotorealistische Ansichten von Wasserszenen. „Ich hab‘ schon immer Wasser geliebt, und ich hab schon immer Wasserbilder geliebt.“ Mit ihren Worten geht sie mit Bedacht um. Sie sucht den richtigen Begriff, der ihre Arbeit beschreibt: „Licht einzufangen – nein, einzufangen ist das falsche Wort, ich möchte gar kein Licht einfangen. Aber das wiederzugeben, was ich sehe – das Licht einer Laterne, von einem Auto oder eine Reflexion auf dem Wasser – das ist das, was mich wirklich fasziniert. Oder Licht, das durch Bäume scheint, durch Blätter.“
Als Kind in Hannover lag sie auf dem Boden und hat gezeichnet, bis ihr die Hand weh tat. Und auch heute gehört das Malen zu ihr. Zum einen sind es die fertigen Bilder, die Mine ausstellt, verkauft und verschenkt. Zum anderen ist es der Prozess des Malens, der für sie eine ganz persönliche Bedeutung hat: „Ich male jeden Tag. Es gibt nur wenige Phasen, in denen ich ein paar Wochen nicht male. Und in dieser Zeit habe ich das Gefühl, es staut sich in mir etwas. Es muss raus. Ich habe das Gefühl, so verarbeite ich die Dinge, die ich sehe. Ich wäre sehr viel gestresster und unglücklicher, wenn ich nicht malen würde.“
Sie zeigt auf eines der Bilder, es entstand in Kooperation mit einem Fotografen aus Hawaii. Sie stieß auf sein Bild, es gefiel ihr, und sie setzte sich mit ihm in Verbindung. Sie malt das Bild, „und ich konnte für einen Moment in Hawaii sein. Auch wenn man ein gutes Buch liest, dann ist man woanders. Bei einem Film kann man das auch, oder im Theater. Kunst ist das Schöne, Freude. Das Schöne im Leben.“
Sie wollte an die Kunsthochschule Braunschweig, doch ihr Weg nimmt andere Wendungen. In Braunschweig bezieht sie eine Altbauwohnung mit hohen Decken und beginnt, in einem Münzhandel zu arbeiten. Die Wände ihrer Wohnung füllen sich rasch mit ihren Bildern. Sie lernt Adel kennen, und sie ziehen nach Augsburg, wo Mine Kunstpädagogik studiert. Sie werden Eltern, und Mine malt. „Das gehört zu mir. Es ist ein Teil von mir, in den Bildern stecken meine Gedanken.“ Ihre Kinder malen mit, früher manchmal auch eher unerwartet: der Große wollte eines Tages mit einem Kumpel ein Bild von Mama vollenden. Mine und Adel besorgten ihnen eigene Staffeleien, sie malen manchmal mit ihr, manchmal allein. Der Älteste, Ibrahim, hat kürzlich mit einem seiner Bilder den Landespreis des Kreativwettbewerbs EUnited – Europa verbindet gewonnen. Mine malt im Wohnzimmer, in einer Ecke ist ihre Staffelei aufgebaut. Die Kinder geben ihr im Vorübergehen Feedback. „Sie sind meine ehrlichsten Kritiker.“