Christine Walther

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Fabian Riemen

Christine Walther

Christine Walther

Es ist ein Dienstag Ende Oktober in Hof. Das Scala Filmtheater ist bis auf den letzten Platz gefüllt, der größte Kinosaal Oberfrankens und vielleicht eines der schönsten Kinos Deutschlands. Draußen drängeln sich diejenigen, die keine Karte mehr ergattern konnten. Drinnen sitzen Gäste neben der Riege der Filmbranche und warten darauf, dass Festivalleiter Thorsten Schaumann sich vom Off einen Weg durch den roten Samtvorhang auf die Bühne bahnt (wie es eh und je sein Vorgänger Heinz Badewitz tat, der daran oft zum Vergnügen des Publikums zu scheitern drohte). Schaumann kommt, die Menge klatscht, eine spürbare, immense Energie ist im Saal, die Vorfreude, Schaumann hebt das Mikro: er eröffnet die Hofer Filmtage. Der Vorhang fährt auf, das Licht wird dunkel, das ARTE-Logo wird eingeblendet, die Bierflaschen ploppen, der Eröffnungsfilm startet seine Weltpremiere und sucht sich seinen Weg von Hof aus in die Kinos, mitunter bis hin nach Hollywood. Es beginnen sechs Tage Filmfestival von früh bis spät, Gespräche, Partys – Hof wird temporär zum Mittelpunkt der internationalen Filmbranche. Hof, so heißt es in der Branche, ist das wichtigste deutsche Filmfestival nach der Berlinale in Berlin.

Von all dem Geschehen im Scala bekommt Christine Walther nichts mit. Sie wäre sicher gern dabei bei der Eröffnung, aber sie hat schlicht keine Zeit, auch nicht für Partys. Sie sitzt zur selben Zeit in einem Büro über dem anderen Hofer Kino, dem Central in der Hofer Altstadt. Sie weiß aber, was in welcher Minute in jedem der sieben Kinosäle, in den Eventlocations und Presseräumen passiert. Sie ist die Organisationsleitung des Festivals. Jeder Winkel des Filmtagebüros ist zu einem Arbeitsplatz umfunktioniert für die Menge der Mitarbeiter*innen – 150 während des Festivals: hier ist der Maschinenraum der Hofer Filmtage, und Christine Walther ist, so könnte man sagen, die Chefmaschinistin.


Christine Walther an ihrem Schreibtisch im Büro der Hofer Filmtage

Viele Menschen haben dafür gesorgt, dass die Hofer Filmtage ein hochwertiges, wichtiges und konstantes Festival wurden, und viele sorgen Jahr für Jahr dafür, dass das auch so bleibt. Christine Walther ist einer von diesen Menschen, nunmehr seit 33 Jahren. Sie hat mit Heinz Badewitz gearbeitet, nun mit Thorsten Schaumann. „So ein Festival steht ja auf mehreren Säulen: Da gibt es einmal den künstlerischen Bereich, das sind die Filme, die letztendlich jeder als Ergebnis sieht im Kino; und dann gibt es aber auch den gestalterischen Bereich, der das Ganze in eine Form bringt, damit es auch sichtbar wird. Und ich sehe mich da als Gestalterin, die den Inhalt in Form bringt und Atmosphäre schafft. Ziel ist, dass Ende Oktober ein entspanntes Festival stattfinden kann, jeder Mitarbeiter am passenden Platz ist und der Besucher sich auf das Erlebnis Film konzentrieren kann. Unser Ziel ist auch, dass die Gäste sich im Home of Films zuhause und wohl fühlen.“

„Keiner stellt sich vor, dass, um sechs Tage Festival zu haben, das ganze Jahr dran gearbeitet werden muss. Ich sehe das ähnlich wie bei einem Musiker, der jeden Tag übt, um dann ein Konzert geben zu können; oder der Maler, der die einzelnen Striche auf die Leinwand bringt, damit am Ende ein ganzes Bild entsteht. Das ist denke ich vergleichbar.“

Christine Walther

Ausstellungsvorbereitung

Christine Walther wächst in Würzburg und Hof auf, studiert in Trier Modedesign und später noch Kunstgeschichte und kommt als junge Mutter zurück nach Hof. Ihre Tochter hat auf diese Weise Oma und Opa vor Ort, und außerdem „möchte ich nicht wieder in eine Großstadt – wo ich schon war. Es ist in Hof und der Gegend rund herum durch viel Natur, kurze Wege und ein großes Kulturangebot äußerst lebenswert.“ Die Arbeit als Modedesignern wird, zumindest an ihrem Arbeitsplatz, immer unkreativer. Walther lernt im Galeriehaus Mitarbeiter*innen der Filmtage kennen, arbeitet zunächst aus Lust und ehrenamtlich mit – so wie es bis heute ein Großteil des Teams während des Festivals macht. Drei Jahre später werden die Filmtage zu ihrem Hauptjob – und sind es bis heute. In ihrem Büro sitzt sie 300 Tage im Jahr, koordiniert mit den weiteren Mitarbeiter*innen und Festivalleiter Thorsten Schaumann, der in der Münchner Dependance sitzt, die nächsten Filmtage. Und rechnet das alte ab. „Keiner stellt sich vor, dass, um sechs Tage Festival zu haben, das ganze Jahr dran gearbeitet werden muss. Ich sehe das ähnlich wie bei einem Musiker, der jeden Tag übt, um dann ein Konzert geben zu können; oder der Maler, der die einzelnen Striche auf die Leinwand bringt, damit am Ende ein ganzes Bild entsteht. Das ist denke ich vergleichbar.“

Für ihre Arbeit ist Organisationstalent unverzichtbar, dass sie ein solches hat, das bemerkte sie erst mit der Arbeit bei den Filmtagen. Sie arbeitet eng mit Organisationsleiter Rainer Huebsch zusammen, dessen Nachfolgerin sie schließlich wird. Wer sie ist und was sie macht – und das ist das Kuriosum – wissen nur wenige. Christine Walther ist ein zurückhaltender Mensch, sie muss nicht im Rampenlicht stehen: „Ich sage auch immer, die Organisation, die im Verborgenen passiert, ist die beste“. Und auch der Vorgesetztenstatus ist nicht ihr Ideal, sie möchte eine familiäre Kultur des Teams leben. „Eine Herzensangelegenheit ist für mich die Personalauswahl. Für die bin ich schon lange zuständig und stolz darauf, dass ich mich dabei noch nie völlig vertan habe. Neue Helfer harmonisieren und sind bald ein Teil der Filmtagefamilie!“ Dass sie in den letzten drei Jahrzehnten ihren Teil für den Erhalt und die Entwicklung dieser Familie aus Mitarbeiter*innen, Gästen und Publikum beitragen konnte, das macht sie dann schon ein wenig stolz.


Christine Walther im Archiv der Internationalen Hofer Filmtage

Christine Walther erzählt mit einer kurzen Geschichte, welchen Wert kulturelle Bildungsimpulse haben können: „An Kunst und Kultur wurde ich schon sehr früh, überwiegend durch meine Mutter geführt. Sie hat meinen Brüdern und mir Vieles gezeigt, was Kunst und Kultur ist. Ich erinnere mich an eine schöne Reise, ich war vielleicht 16, mein jüngerer Bruder und meine Mutter waren dabei, sind mit dem Käfer Cabrio durch Frankreich gefahren, die Loire-Schlösser entlang, und haben die alle besichtigt; danach nach Paris, wir haben dort Museen angeschaut. Das ist nur ein Beispiel von vielen, was unsere Mutter mit uns gemacht hat, ob das jetzt Bildende Kunst war, von Riemenschneider bis Beuys, oder Musik – Klassik und Jazz war wichtig – oder auch Literatur: Goethe, oder auch Dadaismus, alles war unserer Mutter wichtig und hat sie uns nahgebracht.“

Was ist das aber nun, Kunst und Kultur? Da hören wir Christine einfach mal zu:

„Kultur ist alles, was man was man tut, was man gestaltet, was man formt; und die Kunst ist dann so das I-Tüpfelchen obendrauf: Nahrung für Augen und Geist und Seele. Sie kann aber genauso Denkmuster zerstören: das gibt einem einen Denkanstoß, in eine andere Richtung zu denken. Ganz unbedingt ist die Kunst völkerverbindend. Ich denke, das ist gerade da, wo es nicht auf die Sprache – sagen wir Deutsch, Englisch, Französisch ankommt, sondern ein Verständnis entstehen kann, ohne dass man die gleiche Sprache spricht. Das ist mir auch ganz wichtig, dass man dadurch Grenzen überwinden kann, sprachliche Grenzen oder auch Grenzen in Köpfen. In totalitären Staaten ist Kunst ja leider häufig verboten, und das hängt sicher damit zusammen, dass Kunst eben auch etwas bewirkt: weil Kunst in den Denkweisen der Menschen was ändern könnte, kann Kunst ja auch für einen totalitären Staat gefährlich sein.“

Wie kann man den Wert von Kunst voll ausschöpfen?

„Mit Offenheit gegenüber unbekannten Sichtweisen, fremden Kulturen, sich Einlassen auch auf unbequeme Werke. Andersdenkende und Fremde verstehen wollen. Kunst ist auch politisch und sollte Änderungen bewirken können. Ich denke, die Horizonte in den Köpfen sollten so weit sein, so dass man Neues an sich ran lässt und die verschiedenen Arbeitsweisen und Sichtweisen; und nicht bewertet. Es gibt keine gute und schlechte Kunst, ganz bestimmt nicht, schlecht ist nur, gar keine Kunst zu wollen oder sie zu verbieten.“

Und was sagt sie zum Argument, dass Kunst und Kultur die Steuerzahlenden etwas kostet?

„Kunst und kulturelle Angebote sind selten lukrativ oder wirtschaftlich. Aber immer wichtig! Wenn Kunst fehlt lebt der Mensch nur noch zum Essen, Schlafen oder Arbeiten. Die Welt wäre grau, leer und trist. Wie wenn nie die Sonne scheint. Also würden wir seelisch krank. Ohne Farben, ohne Bilder, ohne Musik, ohne Literatur denke ich ist das Leben nicht lebenswert. Kunst und Kultur ist Lebensmittel, ist Grundnahrungsmittel, ist ganz wichtig für jeden Menschen würde ich auch sagen.“


„Kunst ist auch politisch und sollte Änderungen bewirken können. Es gibt keine gute und schlechte Kunst, ganz bestimmt nicht, schlecht ist nur, gar keine Kunst zu wollen oder sie zu verbieten.“

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Christine Walther

Im Archiv

Was treibt Christine Walther an? „Den Künstlern eine Plattform bieten. Dem Besucher Filmkultur nahebringen, Independent, abseits des Mainstream und roten Teppichs. Diskussionen ermöglichen zwischen Kritikern, Interessierten und Filmschaffenden. Den Lebenswert in der Region erhöhen! Hof hat das verdient.“ Womit wir bei der Hofer Kunst- und Kulturszene wären: „In Hof ist es meiner Meinung nach ungewöhnlich, dass so viel verschiedene Kunst und Kultur nebeneinander existiert, also ob das jetzt die Symphoniker sind oder die inzwischen sehr bekannten Hofer Filmtage oder das Theater oder eben die kleinen Bands, die Independent Bands, die kleinen Festivals, die Maler, die Lesungen, alles existiert nebeneinander, ohne dass es gewertet wird. Das finde ich so wichtig in Hof und so typisch, dass alles eine Daseinsberechtigung hat und sich gegenseitig eher befruchtet als dass es sich bekämpft. Da ist eine Kulturszene und Kunstszene, die immer da war und immer weiter gewachsen ist und für die Größe der Stadt ganz schön groß ist.“

Walther sieht die Hofer überdurchschnittlich interessiert an Kunst und Kultur, und „ich finde auch die Oberfranken entgegen ihrem schlechten Ruf sehr offen. Sie sind jetzt nicht so, dass sie drauflos rennen und los reden; aber sie sind geistig offen, finde ich, also sind aufgeschlossener.“ Die Filmtage als Ort ihres Schaffens können dort existieren und sich entwickeln, seit 1967. Der Neue Deutsche Film hat hier ein Epizentrum, Regisseure wie Wim Wenders, Werner Herzog und Volker Schlöndorff kehren immer wieder in die Stadt zurück. „Mit Sicherheit ist HOF ein Festival, wo sehr bekannte Regisseure angefangen haben und auch groß geworden sind. Wim Wenders, Doris Dörrie, Sönke Wortmann, Detlev Buck. Unzählige an sich. Caroline Link hat als Mitarbeiterin beim Festival früher gearbeitet, Doris Dörrie hat auch als Studentin mitgearbeitet; und diese berühmten Regisseure sind in Hof zu Hause und haben hier angefangen und sind dem Festival weiter verbunden. Ich denke auch, in Hof brauchen wir keinen roten Teppich. Das ist ein Festival, wo jeder sich zu Hause fühlt, wo die Filmemacher sich ohne Security bewegen können und es keine Berührungsängste gibt zwischen den großen Stars, die ja zweifelsohne auch in Hof sind, und den Besuchern. Das ist alles auf einer Ebene und ein familiäres Festival.“ Und da spielt die Stadt und ihre Bürger eine Rolle: „In der Branche heißt das Festival HOF, nicht Hofer Filmtage, sondern HOF wie die Stadt, weil man da eben an die Stadt denkt, wo es stattfindet.“

Gemeinsam mit ihrem Team arbeitet sie daran, dass Thorsten Schaumann auch dieses Jahr am letzten Dienstag im Oktober den Weg durch den roten Samtvorhang auf die Bühne vor das vollbesetzte Scala sucht, um das Festival zu eröffnen. Man wünscht ihr, dass sie mal im Publikum sitzen kann. Und man darf hoffen, dass sie das nicht tut, sondern im Büro bleibt und dafür sorgt, dass die Filmtage laufen – dass die Mitarbeiter*innen draußen ihren Job machen können, dass alle Filme sehen, diskutieren, feiern und tanzen können – und dass keine Regisseur*in ihren Flug verpasst. Sie gibt uns noch etwas mit auf den Weg: „Nehmt die Kunst und Kultur wichtig und seid offen für Impulse. Kunst verbindet, rüttelt auf, kann verstören wie auch Freude machen und politisch wirken, verändern.“


„Das finde ich so wichtig in Hof und so typisch, dass alles eine Daseinsberechtigung hat und sich gegenseitig eher befruchtet als dass es sich bekämpft."

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